In der Ruhe liegt die Kraft: Ein Plädoyer für Mußestunden in der Kindheit

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Was hat Familientherapie mit Trainingsplänen zu tun? Auf den ersten Blick vielleicht wenig, deswegen möchte ich ein bisschen ausholen:

Wenn man sich mit körperlicher Betätigung und Trainingslehre befasst, so wird ein Prinzip rasch deutlich: Egal welche Sportart man betreibt, die wichtigsten Effekte passieren nicht in besonders intensiven Trainingseinheiten, sondern danach. In der Phase der Regeneration, wenn man dem Körper ausreichend Ruhe gönnt, werden Muskeln oder Ausdauerleistung aufgebaut.

Ähnliches gilt für geistige Belastungen: Um Höchstleistungen zu erbringen, können wir unser Gehirn wie einen Muskel trainieren. Dabei ist es wichtig, auch Regenerationsphasen einzuplanen. Denn wenn wir unter Dauerstress stehen und unser Geist permanent nach schnellen Lösungen suchen muss, dann können keine kreativen Leistungen entstehen. Dazu ist Ruhe und Muße notwendig.

Dieses Prinzip gilt von klein auf: Kinder sollen wohl gefördert werden, aber nicht mit vollem Terminkalender und andauernder Stimulation.

Ich erlebe in der Therapie mit Kindern bzw. Jugendlichen und ihren Familien oft Eltern, die unter großem Druck stehen: In unserer heutigen Leistungsgesellschaft fühlen sie sich verpflichtet, ihr Kind mit möglichst vielen Aktivitäten zu fördern. Doch wenn diese Förderung in puren Terminstress ausartet und Familien nur mehr zwischen Klavierstunde, Nachhilfeunterricht und Fußballtraining hin und her hetzen, ist dies kontraproduktiv.

Es braucht Raum und Zeit für Muße, ja selbst Langeweile. Die kindliche Klage „Mama, mir ist fad!“ sollte Eltern nicht unter Druck setzen, das nächste Beschäftigungsprogramm zu organisieren. Denn zwischenzeitliche Fadesse ist etwas völlig Natürliches. Phasen von Langeweile dürfen, ja müssen sein in der kindlichen Entwicklung. Denn in diesen Phasen beginnt der kindliche Geist, kreativ nach Beschäftigung zu suchen – oder auch nur in Ruhe Erlebtes zu verarbeiten. Beides ist enorm wichtig für ein gesundes Wachsen und Lernen.

In der Familientherapie spreche ich oft mit Eltern darüber, dass der oben genannte kindliche Hinweis auch für uns Erwachsene eine schöne Anregung darstellen kann: Genießen wir es doch, wenn wir einmal einen Moment der Fadesse haben und nehmen wir diesen als Gelegenheit, die Gedanken schweifen zu lassen. Die Augen dürfen sich schließen, wir atmen durch, lassen den Geist ruhen und tun einfach gar nichts! Heißen wir die Langeweile willkommen und nehmen wir wahr, was sich in diesem Moment zeigt! Der Alltagsstress holt uns spätestens beim nächsten Griff zum Smartphone, der Fernbedienung oder dem Terminkalender wieder ein…